Zwei Bio-Landwirte, eine Kartoffel-Erfolgsstory

Sie arbeiten und leben in Unterfranken. Sie sind Öko-Landwirte und führen ihren Betrieb aus Überzeugung. Und sie helfen sich gegenseitig.

September | 2020
Bildrechte: © Sebastian Stiphout, Konrad Hirsch, iStock Danler, Naturland, iStock JeanRee

Wie zum Beispiel beim Anbau ihrer Bio-Kartoffeln, was viel Zeit und Mühe erfordert. So früh wie noch nie. So schnell wie noch nie. André Nöthling vom Naturland Sonnenhof aus Neustädtles schüttelt den Kopf, wenn er an die Kartoffelernte 2020 denkt. Bereits am 21. August – das ist ein bis drei Wochen früher als in den Vorjahren – legte er mit seinem Kartoffelvollernter los. Knapp 300 Tonnen Ernte in einer Woche, 20 Stunden am Tag.

Auf den Feldern seines 18 Kilometer entfernten Öko-Landwirt-Kollegen Eberhard Räder, mit dem er seit vielen Jahren zusammenarbeitet, begann er die Kartoffelernte. So, wie bei Räders die ganze Familie im Einsatz ist, stehen auch bei den Nöthlings Mutter, Vater, Bruder, Schwägerin, Ehefrau, die beiden Kinder sowie Freunde, die nach der Arbeit kamen, abwechselnd auf dem Roder, so heißt die Kartoffelerntemaschine. Und weil die teuer ist und nicht die ganze Zeit auf den Äckern von André Nöthling im Einsatz ist, rodet er nebenbei als Lohnunternehmer noch die Kartoffeln seiner Nachbarn, wie die von Eberhard Räder.

André Nöthling – Öko-Landwirt aus Überzeugung.
André Nöthling – Öko-Landwirt aus Überzeugung.

Sie sortieren händisch Steine, Kraut und Erdbrocken aus. Aschenputtel lässt grüßen: Die guten Kartoffeln aufs große Förderband, die schlechten aufs kleine. „Auch wenn es harte Arbeit ist, macht die Zusammenarbeit bei der Kartoffelernte jedes Jahr wieder großen Spaß“, sagt André Nöthling. Der 36-Jährige betreibt wie Kollege Räder seit vielen Jahren eine ökologische Landwirtschaft, die nach den strengen Richtlinien des Ökoverbandes Naturland zertifiziert ist. „Bei Verarbeitungskartoffeln, das sind Sorten, die sich für die Verarbeitung im großen Stil eignen, muss es schnell ab in die Fabrik gehen. Denn sie sind nicht lagerfähig. Wir liefern an ‚Die Guten‘, eine Marke der Marktgesellschaft der Naturland Bauern AG, die daraus Bio-Kartoffelpuffer und -klöße herstellt“, erklärt Eberhard Räder den Non-Stop-Ernte-Einsatz.

Kartoffelernte bedeutet Handarbeit: Steine, Kraut und Erdbrocken müssen aussortiert werden.
Kartoffelernte bedeutet Handarbeit: Steine, Kraut und Erdbrocken müssen aussortiert werden.

„Bio ist für mich die Herausforderung, sich mit der Natur zu arrangieren und trotz Verzicht auf chemische Spritzmittel und Dünger dauerhaft eine gute Ernte zu haben.“

Der Faktor Zeit spielt generell beim Anbau von Bio-Kartoffeln eine große Rolle. „Unterm Strich hat man im Öko-Landbau vier bis fünf Arbeitsgänge mehr und das ist deutlich zeitintensiver“, resümiert Nöthling. „Es ist nicht einfach, man muss immer auf der Hut sein, dass nichts schiefgeht und oft auch termingerecht auf den Tag bestimmte Arbeiten ausführen“, so Räder. „Im Unterschied zur konventionellen Landwirtschaft verzichten wir auf Pflanzenschutz und Dünger chemischer Art“, erläutert Öko-Landwirt Nöthling.

Als Dünger verwendet er den Festmist seiner eigenen Rinder. „Beikraut werden wir mechanisch durch mehrfaches Häufeln und Striegeln los“, fügt Kollege Räder an. Letzteres müsse man sich wie einen feinzinkigen Kamm vorstellen, der die Erde durchkämme und Beikräuter herausreiße, welche ansonsten mit der Kartoffelpflanze um Nährstoffe sowie Wasser und Licht konkurrieren würden. Dem gefürchteten Kartoffelkäfer rücken Öko-Landwirte mit dem Öl des tropischen Neem-Baums zu Leibe.

Dem gefürchteten Kartoffelkäfer rücken die Öko-Landwirte mit dem Öl des tropischen Neem-Baums zu Leibe.
Dem gefürchteten Kartoffelkäfer rücken die Öko-Landwirte mit dem Öl des tropischen Neem-Baums zu Leibe.

Doch dieser Mehraufwand lohnt sich. In vielerlei Hinsicht. „Es ist ein tolles Gefühl, im Einklang mit der Natur eine respektable Ernte einzufahren und auch in der Öffentlichkeit geachtet zu werden, weil man auf die Umwelt schaut“, berichtet Eberhard Räder. Sein Hofgut in Bastheim am Rand der Rhön steht seit der Umstellung von konventionell auf öko im Jahr 2000 deutlich besser da.

„Rückblickend weiß ich, dass ökologische Bewirtschaftung hervorragend funktioniert.“

Neben Bio-Kartoffeln baut Räder auch Dinkel, Braugerste, Weizen, Kleegras und Sonnenblumen an. Einen Teil davon verfüttert er an seine 900 Bio-Mastschweine, die daraus wieder Mist als „Futter“ für seine Biogas-Anlage machen. Denn auch das ist ein Hofprodukt: grüne Biogas-Energie. Mit seiner innovativen Biogas-Anlage gewann Räder 2012 den Bundeswettbewerb „Musterlösungen zukunftsfähiger Biogasanlagen“.

Im Unterschied zu den meisten Biogasanlagen, die ausschließlich mit eigens dafür angepflanztem Mais „gefüttert“ werden, läuft seine Anlage mit diversem Bioinput: vom Mist seiner 800 Schweine über Kleegras, das auch André Nöthling anliefert, bis hin zu Reststoffen wie schlechten Kartoffeln oder verdorbenem Getreide von benachbarten Landwirten. „Das ist ein perfekter Kreislauf und ergänzt sich ideal mit unserem Betrieb“, schwärmt Öko-Bauer Räder. Mit dem Strom und der bei der Erzeugung anfallenden Wärme kann er seinen eigenen Betrieb kom-plett versorgen – inklusive Trocknungsanlagen für Sonnenblumen und Getreide. „Die örtliche Schule, den Kindergarten, das Rat-, Feuerwehr- und Pfarrhaus, den Bauhof, die Veranstaltungshalle und fünf Wohnhäuser beliefern wir auch noch“, freut sich Eberhard Räder.

Eberhard Räder ist Öko-Landwirt aus Leidenschaft. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht.
Eberhard Räder ist Öko-Landwirt aus Leidenschaft. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

Mit dem Gärrest seiner innovativen Biogas-Anlage düngt er seine Öko-Äcker. Auch André Nöthling profitiert davon: „Im Frühjahr düngen wir die Kartoffeln mit dem Gärrest aus der Biogas-Anlage – das bringt Nährstoffe in den Boden und ist gut für den Humusaufbau.“ Um die sandigen Böden in Unterfranken gesund und lebendig zu halten, setzen die beiden Naturland Bauern auf Sortenvielfalt im Sinne einer mehrjährigen Fruchtfolge. „Nach dem Kartoffelanbau pflanzen wir auf den Flächen mindestens vier Jahre lang andere Sorten wie Kleegras, Weizen, Dinkel, Braugerste oder Erbsen an, erst dann setzen wir wieder Kartoffeln“, erklärt Nöthling. Neben Kartoffeln, seinen 160 Bio-Mastrindern und der Lohnarbeit mit seinen Maschinen stellen diese Felderzeugnisse ein zusätzliches Standbein für den Familienbetrieb dar. Seine Frau und die Eltern arbeiten auf dem Sonnenhof mit. Sein Bruder ist bei Eberhard Räder auf dem Hofgut angestellt.

„Mach’ dein Hobby zum Beruf und du musst nie mehr arbeiten.“

Obwohl die Kartoffelernte 2020 geringer als die Durchschnittsernte ausfiel, sind die beiden Landwirte zufrieden. „Die vergangenen beiden Jahre waren wegen der anhaltenden Trockenheit und Hitze schlimmer und somit auch die Ernte entsprechend schlecht“, erinnert sich André Nöthling.

„Der Klimawandel wirkt sich extrem auf Kartoffeln aus, sie mögen keine Hitze“, weiß Eberhard Räder. Denn die Pflanze, die ursprünglich aus den Anden stammt, braucht gemäßigte Temperaturen. Ab 25 Grad reagieren Kartoffeln mit Stress. Bei höheren Temperaturen stellen sie gar ihr Wachstum ein. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes gab es im Jahr 2019 insgesamt 17 Tage mit Temperatu-ren von mehr als 30 Grad. Im Jahr zuvor waren es sogar 30 Tage, die die Bio-Kartoffeln unter Dauerstress setzten.

Ihre Erzeuger hingegen empfinden keinen Stress bei der Arbeit, nicht einmal bei der zeitkritischen Ernte. „Dieses Jahr haben wir die 100-Stunden-Woche geknackt“ sagt André Nöthling und lacht. „Wenn man etwas von Herzen und mit Engagement und Überzeugung macht, dann kommt auch etwas Gutes dabei heraus“, fügt Kollege Räder an. Nicht nur bei ihren Kartoffeln.

Eberhard Räder und sein Mitarbeiter schauen nach, ob die Kartoffeln schon reif sind.
Eberhard Räder und sein Mitarbeiter schauen nach, ob die Kartoffeln schon reif sind.
Schon gewusst?

Kulinarisches Erbe bewahren

Seit 2006 zeichnet ein Gremium aus Vertreter*innen deutscher Umwelt- und Verbraucherverbände sowie landwirtschaftlicher Organisationen jedes Jahr die „Kartoffel des Jahres“ aus. Damit soll auf die Vielfalt der Kartoffelsorten aufmerksam gemacht werden. Verbraucher*innen kennen aus dem Handel nur ein schmales Sortiment von rund zehn Sorten, dabei gibt es in Deutschland 147 zugelassene Speisekartoffelsorten. Genau diese Vielfalt gilt es zu bewahren. Übrigens: 2019 wurde die Sorte „Quarta“ zur „Kartoffel des Jahres“ gewählt.

Warum in die Ferne schweifen…?

Deutschland liegt auf Platz 6 im weltweiten Kartoffelanbau. Dennoch werden gerade im Frühjahr jedes Jahr große Mengen an Kartoffeln aus Israel oder Ägypten importiert, wo es häufig große Probleme mit Wasserknappheit gibt. Dabei kann man, bei gewissen Abstrichen an der Schönheit, das ganze Jahr über deutsche Kartoffeln essen.

Noch Luft nach oben

Gemäß den Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft stammen gerade mal 2% der Kartoffel-Ernte aus ökologischem Anbau. Hier gibt es also noch Steigerungspotenzial – beim nächsten Einkauf einfach auf das Naturland Zeichen achten.

Allround-Talent Kartoffel

Dass Kartoffeln in der Küche richtige Allrounder sind ist bekannt. Was viele jedoch nicht wissen: Aus den Knollen lassen sich viele weitere Produkte herstellen, wie zum Beispiel Alkohol, Papier, Folien, Kunstschnee, Pappe, Puder, Seife, Shampoo, Tesafilm, Waschpulver. Erfahre hier wie man aus Kartoffelschalen Spülmittel herstellen kann.