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Leben mit extremen Wetterphänomenen

Im Norden Perus trotzen Bio-Bananen dem extremen Wetter, das neben Überschwemmungen entweder schwüle Feuchte oder trockene Kühle mit sich bringt.

März | 2023
Bildrechte: © Naturland/Christian Nusch

Die Landwirt:innen stellt das vor große Herausforderungen. Doch wer sich auf die Klima-Extreme einlässt, kann von ihnen profitieren. Die Straße auf dem Weg in das Örtchen Tongorrape im Norden Perus überquert immer wieder ausgetrocknete Flussbetten und führt stundenlang durch eine sandige Wüste.

Das einzige, was hier reichlich wächst, sind Akazien. Man rechnet fest damit, gleich Giraffen zu sehen, die an den trockenen Zweigen knabbern. Kann man in dieser savannenartigen Gegend wirklich tropische Früchte anbauen? Und das auch noch nachhaltig? Doch ausgerechnet hier, hinter einem Tor an der staubigen Straße beginnt eine andere Welt: Bio-Bananenstauden wechseln sich mit Mangobäumen und Maracujapflanzen ab, zwischen Limetten blühen bunte Blumen und in einer dichten Hecke brüten Vögel. „Wir haben hier reichlich Grundwasser“, erklärt Betriebsleiter Bernhard den überraschenden Anblick. Jan Bernhard ist Schweizer mit peruanischem Pass, sein Betrieb ProNatur – zu dem 54 Kleinbäuerinnen und -bauern gehören - hier in der Provinz  Motupe-Lambayeque ist Naturland-Mitglied. „Dank El Niño wird unser Aquifer regelmäßig aufgefüllt.“

ProNatur ist Naturland-Mitglied, 54 Kleinbäuerinnen und -bauern gehören hier in der Provinz Motupe-Lambayeque dazu.
ProNatur ist Naturland-Mitglied, 54 Kleinbäuerinnen und -bauern gehören hier in der Provinz Motupe-Lambayeque dazu.

Es ist selten, dass jemand etwas Positives über dieses Wetterphänomen sagt. Seinen Namen verdankt El Niño, zu Deutsch „das Christkind“ dem Umstand, dass es immer kurz vor Weihnachten auftritt. Im Schnitt alle zwölf Jahre verschiebt sich der von der Antarktis nach Norden fließende kalte Humboldtstrom. Dadurch gelangt mehr warmes Wasser vor die Küste Perus, was zu extrem starken Niederschlägen führt. Binnen fünf Wochen fallen dann 1200 Millimeter Regen – so viel wie in Deutschland im ganzen Jahr. Die trockenen Flussbetten verwandeln sich in reißende Ströme, die Brücken und Uferbebauung wegschwemmen. Beim letzte El Niño zum Jahreswechsel 2015/2016 starben rund 300 Menschen hier, zigtausende verloren ihr Zuhause.

Natürlich hat dieses Wetterextrem enorme Auswirkungen auf die Landwirtschaft, schon deshalb, weil die Fluten auch die fruchtbare Krume wegschwemmen. „Wir müssen mit dem arbeiten, was die Natur uns liefert und uns an die Gegebenheit anpassen“, sagt Bio-Bauer Bernhard. „Wir richten unsere gesamte Planung, also was wir anbauen und wo wir pflanzen, nach dem Wetterphänomen.“

Auch ProNatur in der Gegend um Tongarappe, Peru, muss sich den extremen Wetterbedingungen anpassen.
Auch ProNatur in der Gegend um Tongarappe, Peru, muss sich den extremen Wetterbedingungen anpassen.

Seit es im Pazifik hochmoderne Wetterbojen gibt, die schon kleinste Temperaturabweichungen registrieren, lässt sich mit einer Vorwarnzeit von einigen Monaten zuverlässig voraussagen, ob ein El Niño bevorsteht. Ist das der Fall, werden sie bei ProNatur alle plötzlich hektisch. Die Gräben und Kanäle werden gründlich gesäubert, damit überschüssiges Wasser abfließen kann. Alle Schuppen und Bienenkästen in der Nähe trockener Bäche werden abgebaut, sie würden sonst weggeschwemmt. Und der Betriebsleiter beginnt schonmal zu planen, was er pflanzen wird, wenn der Spuk vorbei ist. „In den Jahren nach einem El Niño haben wir nämlich immer gute Ernten“, sagt Jan Bernhard. „Die Überschwemmungen tragen Schlick auf die Felder, der viele Mineralien und Spurenelementen aus den Anden enthält.“ Bodendecker sprießen, mulchen die Erde und werden zu Kompost. Gerade für einen Bio-Bauern, der auf chemisch-synthetischen Düngerverzichtet, ist das ein großer Vorteil.

Mit jedem El Niño gerät die Natur erneut in Bewegung. „Die Wüste wird grün, es gibt plötzlich Fische in den Flüssen und für zwei Jahre nisten Reiher in den Akazien,“ schwärmt Jan Bernhard. Das unversehens tropische Klima verändert auch seine Farm. Für kurze Zeit gibt es beste Anbaubedingungen für Ingwer und Kurkuma. „Die Herausforderung ist, dann tatsächlich auch das richtige Saatgut parat zu haben. Man kann es nicht über Jahre einlagern, sondern muss es jedes Jahr auspflanzen, um es zu erneuern. Das ist nicht so einfach, wenn es gerade viel zu trocken ist für tropische Pflanzen.“

Jan Bernhard nutzt seine Erfahrungen mit El Niño und profitiert sogar davon.
Jan Bernhard nutzt seine Erfahrungen mit El Niño und profitiert sogar davon.

Unter diesen extrem unterschiedlichen Bedingungen erfolgreich Landwirtschaft zu betreiben, erfordert viel Spezialwissen. Weil das Wetter in Peru erst seit kurzem systematisch aufgezeichnet wird, gibt es keine Fachliteratur oder gar wissenschaftliche Studien, sondern bestenfalls Anekdoten. Jan Bernhard, der hier im Norden Perus aufgewachsen ist, führt selber Statistiken und lernt bei jedem El Niño dazu. „Es ist jedes Mal eine riesige Herausforderung. Aber wenn man es richtig anstellt und aus seinen Erfahrungen die richtigen Schlüsse zieht, profitiert man mehr, als man verliert.“

Schon gewusst?

La Niña – Die kalte Schwester des Christkindes

La Niña, zu Deutsch „Das Mädchen“ taucht meistens im Wechsel mit El Niño auf. Wenn sich der kalte Humboldtstrom intensiviert, wird es kühler und trockener. Dank des gut gefüllten Aquifers ist dann mit Hilfe von Wasserpumpen in der Gegend um Tongarappe immer noch eine nachhaltige Landwirtschaft möglich, doch es sind andere Früchte als unter El Niño-Bedingungen – z.B. Orangen oder Paprika - die unter diesen Bedingungen gut gedeihen.

Angepasster Anbau

Angesichts der sich abwechselnden extremen Wetterphänomene ist es besonders wichtig, viele verschiedene Früchte anzubauen. Auf die Weise haben die Bäuerinnen und Bauern immer wenigstens eine Feldfrucht, die eine gute Ernte bringt. Während der kühlen Phasen von La Niña gedeihen vor allem Zitrusfrüchte besonders gut. Kurzfristig lassen sich außerdem grüne Bohnen, Erbsen und Paprika kultivieren, denen es in der Wüste sonst zu heiß ist.

Mischkulturen

Bei ProNatur werden die verschiedenen Früchte in Mischkulturen angebaut; Monokulturen sind bei den Bio-Bäuerinnen und -bauern hier verpönt. So stehen auf einem einzelnen Feld abwechselnd Mangos, Avocados und Maracujas. Beikräuter wie Gräser und Blumen sind willkommen: Sie schützen den Boden vor dem Austrocknen und sorgen für Artenvielfalt.

Artenvielfalt bei Naturland in Peru

Der Naturland zertifizierte Betrieb ProNatur in Peru überlässt ein Drittel seiner Fläche der Natur zur Entfaltung. Hier wird nichts angebaut. In diesen Lebensräumen kann sich die Tier- und Pflanzenwelt frei entfalten. Jan Bernhard hat auf seiner Farm 83 Vogelarten gezählt und seltene Säugetiere wie Ameisenbären und Tigrillos (Ozelotkatzen) beobachtet.